Kennen Sie die Geschichte Ihres Hauses?

Berlin Geschichten Familie Reich

Gervinus Straße 20, 10629 Berlin

Ruth und Manfred Reich © Jack M. Weil
Ruth und Manfred Reich © Jack M. Weil

Im Erdgeschoss wohnte in den 1920er Jahren Familie Reich: Benno und Herta Lina mit ihren Kindern Ruth und Manfred. Zwischen ihnen und den Messerschmidts entstehen freundschaftliche Bande. Nicht nur die Eltern sind miteinander befreundet. Auch die Kinder Hans-Peter, Manfred und Ruth spielen zusammen.

Als Tochter Ruth 1937 den Amateurfotogafen Jules Loszynski heiratet und die beiden im „Speisehaus Adolf Veit“ am Kurfürstendamm ihre Hochzeit feiern, wird das Vermieter-Ehepaar Messerschmidt eingeladen und sogar mit Versen in der Hochzeits-Zeitung bedacht.

Wenige Monate später gehören die Reichs zu den ersten jüdischen Deportationsopfern: Benno Reich war mit seinen Eltern vor der Jahrhundertwende aus Polen nach Berlin eingewandert, ohne die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ende Oktober 1938 werden bei der sogenannten „Polenaktion“ über 17.000 Jüdinnen und Juden, die ursprünglich aus Polen stammten, aber keine deutsche Staatsangehörigkeit hatten, auf Anweisung Heinrich Himmlers aus Deutschland abgeschoben. So auch Vater Benno und Sohn Manfred Reich. Später auch die Ehefrau und Mutter Herta Lina. Nur Tochter Ruth (*1916), durch die Heirat mit einem Deutschen geschützt, wird nicht abgeschoben und vorerst verschont.

Benno, Manfred und Herta Lina kommen nun ins Niemandsland zwischen Deutschland und Polen: Denn Polen ließ die aus Deutschland abgeschobenen Jüdinnen und Juden nicht ins Land. Dies war durch ein Gesetz möglich, welches es ermöglichte, Polen, die mehr als 5 Jahre kontinuierlich im Ausland ansässig waren, die Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Ein letztes Lebenszeichen von Benno, Herta Lina und Manfred Reich stammt später aus dem Krakauer Ghetto.

Tochter Ruth wandert mit ihrem Mann Jules zusammen nach Amsterdam aus, wo sie 1943 verhaftet und ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert werden. Jules stirbt dort 1944. Ruth überlebt und kehrt nach Amsterdam zurück. Sie lernt Hugo Weil kennen, der den Holocaust ebenfalls überlebt hat. Die beiden heiraten 1948. Ein Jahr später wird ihr Sohn Jack Weil geboren.

1974 besucht Ruth Reich-Weil zum ersten Mal nach dem 2. Weltkrieg Berlin und das Haus in der Gervinusstraße 20 und trifft dort ihren ehemaligen Nachbarn und Freund Hans-Peter Messerschmidt. Zehn Jahre später, 1984, kommt sie wieder. Dieses Mal zusammen mit ihrem Sohn Jack und seiner Familie. Jack Weil kehrt seitdem regelmäßig in das erste Zuhause seiner Mutter zurück – und erinnert bei Denk Mal am Ort seit 2018 Jahr für Jahr an die Geschichten seiner Vorfahren.

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