Hamburg Geschichten Steffi Wittenberg (geb. Hammerschlag)
Karolinenstraße 35, 20357 Hamburg- Karolinenviertel
Steffi Hammerschlag erlebte die Anfangsjahre des Zweiten Weltkriegs als Schülerin der Israelitischen Töchterschule – und überlebte dank eines gerade noch rechtzeitig ausgestellten uruguayischen Visums. Sie konnte im Dezember 1939, zusammen mit ihrer Mutter, mit einer der letzten Möglichkeiten, Deutschland verlassen und 89 Jahre alt werden.
Steffi (*1926) bekam bereits als Erstklässlerin den Nationalsozialismus zu spüren: Alle Bedeutung lag damals auf dem Siegen und Deutsche mussten die Besten sein. Beim Sport musste man ehrgeizig sein und beim Singen am Montag wurde die „schöne Haydn-Melodie“ durch den „schrecklichen Text“ „Deutschland, Deutschland über alles“ verunstaltet. Die Sechsjährige ging auf die Hamburger Jahnschule, als am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde und ihre Mutter, Margot Hammerschlag, im Wohnzimmer sehr ängstlich zu ihr sagte:
„Jetzt müssen wir Juden alle raus aus Deutschland, wir werden alle umgebracht.“
1935 wechselte Steffi auf die jüdische Mädchenschule in der Karolinenstraße. In Steffis Nachbarschaft befanden sich ein Friseur und ein Krämerladen. Als die Nachbar*innen schließlich von der jüdischen Religion der Hammerschlags erfuhren, hörten auch die Nettesten schlagartig zu grüßen auf. Steffis Angst stieg mit jedem Mal, wenn die SA-Truppen und Hitlerjungen „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt“ singend durch die Straßen zogen. Einen Satz, den eine nichtjüdische Bekannte zu ihrer Mutter sagte, konnte Steffi nie vergessen: „Ach Frau Hammerschlag, wenn alle Juden doch so wären wie sie, so müssen eben die Unschuldigen mit den Schuldigen leiden.“
Für Steffis Mutter Margot, wurde irgendwann klar, dass sie Deutschland verlassen mussten. Nachdem sie in den Konsulaten von Südafrika, Niederlande, USA und England ohne Erfolg um Visa gebeten hatte, entdeckte sie 1938, dass Uruguay gegen ein kleineres Bestechungsgeld Visa erteilte. Also wurde es Uruguay und die Familie bekam schließlich vier Visa: für Steffis Vater, Franz Hammerschlag, die Mutter, Margot Hammerschlag, Steffis Bruder Gerd Hammerschlag und für Steffi. „Zuerst müssen die Männer raus!“ meinte Steffis Mutter und so sollte im Oktober 1938 zunächst ihr Mann Franz mit ihrem Sohn Gerd ausreisen. Zwei Monate später wollte sie zusammen mit Steffi folgen. Doch es sollte anders kommen.
Im Oktober 1938 spitzte sich die Lage zu. Bei der sogenannten Polenaktion schoben die Nazis Jüdinnen und Juden mit polnischen Pässen nach Polen ab. Auch die Familie von Steffis enger Freundin, der Klassenbesten Mirjam Friedfertig, war davon betroffen. Nachdem Mirjam erzählte, dass ihr Vater nach Polen abgeschoben werden sollte, war auch ein Tag später Mirjam nicht mehr da. Ihre ganze Familie wurde vom Bahnhof Altona nach Polen verschickt, zusammen mit hundert anderen polnischen Jüdinnen und Juden.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zündeten die Nazis Synagogen an und zerstörten jüdische Geschäfte. Über 30.000 Jüdinnen und Juden wurden verhaftet, davon über 1000 in Hamburg.
Die zwölfjährige Steffi war am 10. November auf dem Weg in die Schule, als ihr andere Kinder entgegenkamen und sagten, dass heute keine Schule sei und die Synagogen brennen würden. Steffi ging wieder zurück. Zuhause herrschte große Aufregung, da sich schon herumgesprochen hatte, dass viele jüdische Männer verhaftet worden waren. Zum Glück waren Steffis Vater und Bruder bereits nach Uruguay vorgefahren. Margot und Steffi Hammerschlag nahmen nun zwei andere Familien bei sich auf und versteckten sie und vor allem die Väter bei sich: Familie Haas und Familie Meyer.
Da Steffis Mädchenschule in der Karolinenstraße fast nur Lehrerinnen hatte, wurden keine Lehrer verhaftet, und auch nicht ihr Schulleiter. Steffi hörte aber von anderen Kindern, wie in ihren Schulen Lehrer kahlrasiert, hinkend, mit Verletzungen im Gesicht und mit stark geschocktem Blick in die Schule zurückkamen.
Ab jetzt änderte sich das jüdische Leben stark: Jüdinnen und Juden durften nicht mehr ins Theater, in Konzerte, Kinos und Museen, die Kinder nicht mehr auf die neue Eisbahn, Ärzte und Rechtsanwälte durften keine Jüdinnen und Juden mehr betreuen, als Jude verlor man seinen Job und auch auf den meisten Bänken im Park stand schon „Nur für Arier“. Jüdische Frauen erhielten den Zusatznamen „Sara“, Männer den Namen „Israel“. Außerdem wurde in die jüdischen Pässe ein rotes „J“ gestempelt.
Im Dezember 1938 wollten Steffi und ihre Mutter schließlich die Ausreise nach Uruguay antreten. Da wurden ihre Visa plötzlich für ungültig erklärt.
Am 1. September 1939 marschierten deutsche Truppen in Polen ein und der Zweite Weltkrieg begann. Steffi sah ihre Mutter Margot im Wohnzimmer weinen. Sie meinte:
„Jetzt kommen wir nicht mehr heraus, wir werden alle ermordet.“
Steffi tröstete sie und schrieb noch abends in ihr Tagebuch: „Heute hat der Führer die Wehrmacht zu den Waffen gerufen, ausgerechnet an Tante Gretes Geburtstag.“ Später fand Steffi den Satz so banal, dass sie deswegen ihr Tagebuch in den Müll warf.
Im November 1939, zwei Monate nach Kriegsbeginn, bekam Steffis Mutter ein Telegramm von ihrem Mann Franz. Es war ihm gelungen, neue Visa für seine Frau und seine Tochter zu organisieren. So konnten Steffi und ihre Mutter im Dezember 1939 mit dem Zug über Aachen nach Antwerpen fahren, um dort endlich an Bord eines Schiffes Richtung Uruguay zu gelangen. Es war eine der letzten Möglichkeiten für Jüdinnen und Juden noch aus Europa auszureisen. Auch die anderen Passagiere waren fast alle Jüdinnen und Juden. Viele erzählten, dass sie am Tag vorher in Aachen aus dem Zug geholt wurden und geschlagen wurden. Steffi und ihre Mutter hatten Glück, ihnen war nichts passiert. Ende Januar 1940 kam ihr Schiff über den verminten englischen Kanal schließlich sicher in Montevideo, Uruguay an.
Während der acht Jahre Aufenthalt in Uruguay lernte Steffi Hammerschlag ihren späteren Mann Kurt Wittenberg kennen, der dort antifaschistisch sehr aktiv war. 1948 heirateten sie und kehrten 1951 zusammen nach Deutschland zurück – nach Hamburg, Steffis Geburtsstadt. Nach ihrer Rückkehr setzten Steffi und Kurt Wittenberg sich jahrzehntelang für eine bessere Gesellschaft, die Erinnerung an das NS-Unrecht und ein lebendiges Gedenken ein.
Am 26. März 2015 starb Steffi Wittenberg im Alter von 89 Jahren in Hamburg.
Ihre damalige Mädchenschule ist heute die Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule. Dort befindet sich eine Dauerausstellung zum ehemaligen jüdischen Schulleben in Hamburg. Dort erinnert ihr Sohn Andreas Wittenberg regelmäßig an seine Mutter Steffi Wittenberg.
(Dieser Text ist angelehnt an einen Bericht von Steffi Wittenbergs Enkel, Henri Wittenberg. Henri Wittenberg ist Schüler und lebt in Berlin.)