Frankfurt Geschichten Familie Wertheimer
Burgstraße 19, 60316 Frankfurt am Main
Die drei Schwestern Barbara (Betty), Selma und Anna Wertheimer wurden in Lambsheim in der Pfalz geboren und 1907 zu Frankfurterinnen – keine von ihnen hat den Nationalsozialismus überlebt.
Ihre Eltern Karl und Luise Wertheimer hatten insgesamt sieben Kinder. Im April 1907 zog die Familie von Freinsheim in der Pfalz nach Frankfurt. Die Familie wohnte zunächst in der Burgstraße 19 und von 1910 bis 1931 im Mauerweg 10 im 2. Stock. Hier wohnten die drei Schwestern und ihr Bruder Ludwig gemeinsam mit ihrer Mutter, später kamen auch noch ihre Ehepartner hinzu. Im Jahr 1931 zogen die Eheleute in eigene Wohnungen. Die inzwischen 73-jährige Mutter (die bereits 1911 zur Witwe wurde) übersiedelte zur Tochter Betty und deren Mann Eugen Kloos in die Textorstrasse 94, wo sie am 6. Februar 1937 starb und noch auf dem alten jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Strasse beerdigt wurde.
Barbara (Betty) Kloos (geb. Wertheimer) und Eugen Kloos
Barbara (Betty) Wertheimer, von Beruf Verkäuferin, hatte am 6. Oktober 1921 in Frankfurt den Zahntechniker Eugen Bernhard Kloos geheiratet, der in Frankfurt geboren wurde. (Trauzeugen waren laut Heiratsurkunde Simon Scheuer aus der Friedberger Landstrasse 129 und der Bruder Ludwig Wertheimer.) Die beiden zogen 1931 in die Textorstrasse 94. Im Adressbuch der Stadt von 1938 ist Eugen Kloos noch mit „Zahnwaren“ in der Textorstrasse 94 eingetragen, 1939 mussten sie dann allerdings in die Zeil 14 und ein sogenanntes „Judenhaus“ umziehen, in dem antisemitisch Verfolgte vor ihrer Deportation wohnen mussten. Dort lebten die beiden von 1939 bis 1942.
Am 11. Juni 1942 wurden Betty und Eugen Kloos nach Sobibor und Majdanek deportiert. Laut Verzeichnis ging der sechste Frankfurter Sonderzug am frühen Morgen ab. Er hatte 1253 Insassen, davon wurden 188 bis 250 Männer im Alter von 15-20 Jahren nach der Selektion in das Lager Majdanek eingewiesen. Nach dem Eintrag im Sterbebuch ist Eugen Kloos dort am 22. Juli 1942 verstorben. Seine Frau Betty wurde möglicherweise direkt in das Vernichtungslager Sobibor gebracht und dort ermordet.
Anna Schmitt (geb. Wertheimer) und Emil Schmitt
Anna Wertheimer, das zweitjüngste der Wertheimer-Kinder, heiratete am 10.11.1921 den Kaufmann Emil Schmitt, der nicht dem jüdischen Glauben angehörte. Dieser arbeitete als Vertreter, hatte jedoch im Beruf nur mäßigen Erfolg und litt an den Folgen einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg. Nach einer Straftat, die er aus wirtschaftlicher Not begangen haben soll, wurde er inhaftiert. Nach der Entlassung aus der Haft am 1. Juli 1933 zog er mit seiner Frau in seinen Geburtsort Fischbach im Taunus, wo auch seine Familie lebte. Er arbeitete in dieser Zeit als Möbelvertreter und wurde am 6. September 1939 zur Wehrmacht eingezogen, aus der er am 7.April 1941 entlassen wurde. Der Grund ist nicht bekannt, vielleicht spielte auch seine noch bestehende Ehe mit einer Jüdin eine Rolle. Nach seiner Entlassung wurde Emil Schmitt von der Gestapo verhaftet und am 19. Mai 1943 in das Konzentrationslager Natzweiler überstellt.
Am gleichen Tag wurde auch Anna Schmitt verhaftet, in der Gestapozentrale in der Lindenstrasse 27 in Frankfurt verhört und in das Polizeigefängnis in der Klapperfeldstraße 5 gebracht.
Selma Scheuer (geb.Wertheimer) und Simon Scheuer
Selma Wertheimer, die als Hausgehilfin gearbeitet hatte, heiratete am 15. März 1922 den Kaufmann Simon Scheuer, der in Bad Soden am Taunus geboren wurde. Für ihn war es die zweite Ehe, mit seiner ersten Frau Leopoldine, geb. Schüssler, hatte er zwei Söhne.
Simon Scheuer kämpfte als Soldat im 1. Weltkrieg und war durch einen Durchschuss des rechten Unterarms zu 70 Prozent schwerbehindert. Er war Inhaber des Eisernen Kreuzes II. Klasse, der hessischen Tapferkeitsmedaille, des Verwundetenabzeichens und des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer.
Selma und Simon Scheuer zogen in die Börnestrasse 44, die in der NS-Zeit in Großer Wollgraben umbenannt wurde. Zuletzt wohnten sie in der Allerheiligenstrasse 77. Sie hatten zwei Töchter, Ruth und Helga. Ruth gelang die Flucht ins Ausland, über den Verbleib von Helga ist nichts bekannt. Selma und Simon standen für den 1. September 1942 auf der Liste der zu deportierenden Juden nach Theresienstadt.
Zu dieser Zeit hatte Theresienstadt einen Höchststand von 58 652 Menschen erreicht und dies auf einer Fläche von eineinhalb Quadratkilometern. Die Menschen starben infolge von Hunger, Krankheiten, Hitze und seelischem Leid. Da der Platz für weiter ankommende Transporte nicht mehr ausreichte, wurden immer mehr Menschen weiter nach Auschwitz geschickt. Mit einem Transport am 28.Oktober 1944 wurden auch Selma und Simon Scheuer nach Auschwitz gebracht. Aus diesem Transport gab es nur wenige Überlebende, die beiden waren nicht dabei.
Am 20. September 1943, frühmorgens um 6.30 Uhr, wurden mit einem als “Sondertransport” bezeichneten Zug einige der Frauen aus dem Polizeigefängnis in das KZ Auschwitz überstellt. Unter ihnen befand sich auch Anna Schmitt.
In der Sterbeurkunde des KZ Auschwitz vom 11. November 1943 wird ihr Tod am 15. Oktober eingetragen, die Diagnose „Darmkatarrh bei Grippe“. Inzwischen weiß man, dass diese Angaben willkürlich in die Sterbeurkunden eingetragen wurden.
Emil Schmitt kam nach der Evakuierung des Lagers Natzweiler in das KZ Dachau, wo er zwei Tage vor der Befreiung durch die Alliierten am 27. April 1945 registriert wurde. Er starb am 16. Dezember 1945, wahrscheinlich an den Folgen der KZ-Haft, in einem Lazarett in Bad Mergentheim und wurde auf dem dortigen Friedhof beerdigt. Ein Grab für seine Frau Anna gibt es nicht.
© Heidi Stögbauer